Als Trainer arbeitet man mit Menschen. Das muss niemandem erklärt werden, das ist selbstverständlich, es ist meistens etwas, was wir an unserem Beruf lieben, was wir zu schätzen wissen und etwas, was oft ausschlaggebend für unsere Berufswahl war. Was genau machen wir aber mit diesen Menschen? Wir lassen sie trainieren, wir lassen sie schwitzen und lachen und, wenn wir unsere Arbeit gut machen, lassen wir sie besser werden. Vor allem aber lassen wir sie an unserem Wissen teilhaben, wir sind Wissensvermittler. Unsere Klienten schenken uns ihr Vertrauen und bauen dadurch mehr oder weniger direkt auf unser Wissen. Und um genau dieses Wissen, bzw. vielmehr noch um die Wandelbarkeit dieses Wissens geht es in diesem Artikel. Es geht um die Fähigkeit des Trainers ganz klar und ohne falsches Ego sagen zu können: Ich lag falsch.
Achtung Coaches!
Schauen wir uns zum Beispiel die Übung Hip Crossovers an. Haben wir noch vor ein paar Jahren diese Übung gerne ausgewählt, um den Core zu kräftigen, so hüten wir uns jetzt davor, Übungen, die Bewegung in der LWS generieren, in unsere Programme aufzunehmen. Das JointbyJointModell zeigt uns schließlich deutlich: Wir brauchen Stabilität in der LWS und deshalb sollte das Training dort antiextensorisch, antiflektorisch und antirotatorisch ausfallen. Beweglichkeit wollen wir hingegen in der Brustwirbelsäule, in den Hüftgelenken aber weiß Gott nicht in der LWS! Wer das Modell kennt, liebt es, weil es wie kein anderes dem Trainer einen roten Faden gibt, an dem er sich relativ einfach orientieren kann und nach dem er alles in seiner Übungssammlung (neu) bewerten kann.
“Ich lag falsch”
Ich lag also falsch. Ich habe Trainierenden über Jahre hinweg eine Übung verschrieben, die ihre LWS hypermobil gemacht hat, welche vielleicht sogar mehr Probleme bereitet hat, als sie lösen konnte, aber ich tat es – klar – in der Annahme, dass sie Menschen gut tut. Ausschlaggebend hierfür war mein Wissensstand. Heute ist er anders und je mehr Wissen ich akkumuliere, je mehr Perspektiven ich mir aneigne, um aus ihnen heraus meine Arbeit organisieren und bewerten zu können, desto vielseitiger und fundierter sind meine Argumente mit denen ich sie, vor wem auch immer, verteidigen kann. Das gibt einem Sicherheit, auch wenn es oft damit einhergeht, sein Ego zu begraben und einfach zuzugeben, dass man falsch lag. Der Zufall will es aber so, dass die Hip Crossovers doch nicht auf die Müllhalde der Geschichte gehören. Wie in einem ordentlichen Hollywood Schinken, wendet sich auch hier das Blatt und nun ist diese Übung wieder eine meiner Lieblingsübungen geworden. Allerdings nicht aus der Perspektive von 2004, als ich dachte, dass ich hiermit die CoreKraft meiner Trainierenden verbessere, nein, es ist eine Lieblingsübung meines neuen Ichs und die Übung ist jetzt auch in einem ganz anderen Pool gelandet, in einer ganz neuen Schublade, die vorher nicht einmal existierte. Ausschlaggebend hierfür ist der Wissenshorizont, den ich mit dem Functional Movement System erworben habe. In diesem System agiert diese Übung als Corrective Exercise für den Bereich Schulterblattstabilität. Nehmen wir doch einfach wieder das JointbyJoint Prinzip um den neuen Sinn dieser Übung nachvollziehen zu können.
| Gelenk | Hauptaugenmerk |
| Sprunggelenk | Mobilität |
| Knie | Stabilität |
| Hüfte | Mobilität |
| LWS | Stabilität |
| BWS | Mobilität |
| Schulter | Stabilität |
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Wir hatten schon die LWS, oder Lumbar Spine, die, wie wir sehen, Stabilität braucht. Wir hatten auch schon die BWS, die Mobilität braucht. Was braucht das Schulterblatt? Es braucht Stabilität und diese geben wir ihm sogar in dieser Übung – und zwar Tonnen davon. Nehmen wir an, wir drehen das Becken auf die linke Seite, was wird automatisch mitgezogen? Richtig, die rechte Schulter. Wenn wir nun dem Ausführenden den Coaching Cue mitgeben, dass er beide Schulterblätter unbedingt auf dem Boden halten soll, inhibitieren wir automatisch die Brustmuskulatur und lassen dynamische Stabilität auf Seiten der Schulterblattstabilisatoren entstehen. Durch eine einfache Anweisung lassen wir die Übung zu einer wirkungsvollen präventiven Waffe gegen Impingement und Co. im Schultergelenk werden, schließlich hängt der Grad der Schulterbeweglichkeit von der Fähigkeit der motorischen Kontrolle über das Schulterblatt ab. Je mehr Stabilität ich im Schulterblatt habe, desto mehr Beweglichkeit kann sich in der Schulter selbst artikulieren. Wenn ich einer Struktur genau das gebe, was sie verlangt (in diesem Fall dem Schulterblatt
Stabilität), desto glücklicher sind alle angrenzenden Strukturen, schließlich muss nun niemand den Job des anderen übernehmen. Das Happy End ist da, der HollywoodStreifen hat uns auch in diesem Fall nicht enttäuscht. Die Hintergründe um die Hip Crossovers zeigen, wie sehr Wissen die Wahrnehmung einer Übung beeinflussen kann. Kein Trainer sollte jemals Angst davor haben, zugeben zu müssen, dass er falsch lag mit seinen Annahmen. Wichtig ist, dass er argumentieren kann,
streiten kann, seinen Standpunkt verteidigen kann und, nach ausgiebiger Recherche, auch zugeben kann, dass er seine Meinung geändert hat. Das Ego ist niemandes Amigo.
Bevor es vergessen wird, hier die korrekte Übungsausführung
Euer Lukas Piechocinski
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